Fährt man von Biberstein, am Aareufer unterhalb Aarau gelegen, auf kleiner und kurvenreicher Landstrasse Richtung Auenstein, so fällt einem irgendwann ein rechteckiger Flecken auf, umgeben von einem sicher 1.80 Meter hohen Zaun, welcher sich am oberen Ende im 45° Winkel schräg nach aussen neigt. Das solcherart gesicherte Rechteck liegt mitten im Landwirtschaftsland und nahe des Waldrands. Der hohe Zaun lässt einen unwillkürlich an Gefahrenstoffe denken, an Geheimnisse, an verbotene Zonen. Jedenfalls vermutet man Ungutes, warum sonst die grandiose Sicherung. Erst wenn man anhält und sich den Flecken näher anschaut, sieht man, dass dieser Zaun einen Gemüsegarten umfasst.
Auch in Berggegenden trifft man des Öfteren auf diese Hochsicherheitsgärten, immer ist da ja der Wald nah. Und mit dem Wald auch seine herumstreifenden Bewohner; Füchse, Rehe, Rothirsche, Hasen, Mäuse und Wildschweine.

So ein hoher Zaun für die paar Rehe? Naja, unsere heimischen Waldbewohner sind erstaunlich gute Springer. «Der König der Wälder», der Rothirsch, ist mit einer Schulterhöhe von bis zu 1.50 m das grösste unserer heimischen Wildtiere. Nicht ganz überraschend gewänne er einen Hochsprung-Wettbewerb darum klar. In einer Studie zeigte sich, dass alle untersuchten Hirsche die Hürde von 1.80 m problemlos nahmen, dass die meisten auch 2.10 m überwanden und dass einige wenige sogar die 2.40 m Marke «knackten».
Überraschender ist da schon die Sprungkraft des um ca. ein Meter kleineren Rehs: Ein 1.50 m hoher Zaun wird von diesem mühelos übersprungen, will man ein Reh erfolgreich von Etwas fernhalten, so muss das Hindernis sicher 1.80 m hoch sein. Füchse schliesslich sind kaum von einem Grundstück fernzuhalten, auch sie überwinden die obengenannten Höhen problemlos, besitzen daneben aber noch die Fähigkeit, sich durch kleinste Durchgänge zu zwängen und sich unter Zäunen durchzugraben. Auch Hasen, Kaninchen und Mäuse überwinden noch die engmaschigsten Zäune spielend, äh.. buddelnd und durchzwängend. Ein 1.50 m hoher Zaun ist also nur für Wildschweine ein wirkliches Hindernis – sofern er sicher, am besten mit Beton, im Boden verankert wurde.

Unser Garten liegt vielleicht 400 m vom Waldrand entfernt, umgeben von einer Wiese und in unmittelbarer Nähe verschiedener Hecken- und Gehölzgruppen. Trotzdem säumt weder Draht noch Holz seine Grenzen. Wir nehmen den eher aussichtslosen Kampf gegen die Wildtiere also gar nicht erst auf. Oder: das Konzept des offenen Gartens wird bei uns radikal angewendet. Wir teilen alles. (Zugegebenermassen etwas unfreiwillig.)
Diesjährig wurden in der umgebenden Wiese ganze 6 Rehkitz abgelegt. Davon zeugten einerseits mittels Drohnen erzeugte Wärmebilder und andererseits die zuverlässig abgeknabberten Spinat-, Randen- und Mangoldblätter. Rehe sind bekanntermassen sehr selektive Feinschmecker. Wie wir nun wissen, scheinen sie eine ausgeprägte Vorliebe für Fuchsschwanzgewächse zu haben.
Apropos Fuchsschwanz: Füchse sind neugierig und sehr verspielt. UNSER Fuchs hat zudem eine okkulte Ader, gepaart mit etwas Pedanterie. Fein säuberlich deponiert auf dem immer gleichen freistehenden Pfostenanker hinterliess er im letzten Jahr den Kieferknochen eines Wiederkäuers, verschiedene Tierzähne und einmal ein kompletter kleiner Säugetierschädel in unserem Garten. Auch für seine Exkremente präferiert er die immer gleichen Stellen. Exponiert und steinig soll es sein.

Und trotzdem: zaunlos blicken wir in die Zukunft. Wir ernten, was nicht weggeknabbert wurde, waschen es vor dem Verzehr lange und sehr gründlich und… beten, dass uns die Wildschweine nicht finden.